"Zu Hundertwassers Malerei"
Wieland Schmied
Eigenart und Bedeutung der Malerei Hundertwassers
Hundertwasser hat nicht nur als Maler begonnen, seine Malerei ist auch der Ausgangspunkt aller anderen Aktivitäten, durch die er hervorgetreten ist. Seine Malerei hat seine Bildtheorien und seine »Grammatik des Sehens« geprägt. Sie ist die Grundlage seiner Architektur-Manifeste und seines Engagements für ein organisches, menschenwürdiges Bauen, bei dem die individuelle Gestaltung der Fassade und das Recht, die Fenster und die Wand rings um die Fenster selbst zu bemalen, mit eine Rolle spielen. Schließlich geht seine ganze graphische Produktion von seiner Malerei aus, deren Bildfindungen sie mit anderen Mitteln - denen des Siebdrucks oder der Lithographie - variiert.
Hundertwasser ist als Maler zuerst um 1950 hervorgetreten. Seine Bilder sind der persönliche Versuch, auf die damalige aktuelle Kunstsituation eine eigene Antwort zu finden. Die Avantgarde wurde zu jener Zeit - auch in Wien - weitgehend vom Tachismus bestimmt, dessen Grundtendenz Hundertwasser als einen reinen psychischen Automatismus empfand, wie ihn zum Beispiel der gleichaltrige Arnulf Rainer - in einer Weiterführung auch surrealistischer Forderungen - exemplifizierte. Hundertwasser konnte sich den Impulsen und der Suggestion der Avantgarde nicht ganz entziehen, so wenig ihn ihre Ergebnisse befriedigten. So versuchte er einen eigenen Weg zu finden. Dem Automatismus wollte er mit einem Transautomatismus - dem langsamen, »vegetativen« Wachstum eines sich aus Zellen und Linien ergebenden Bildes -, dem Informel mit einer Fülle neuer Formen, Formeln und Chiffren antworten.
Dabei nahm er einerseits die naive Weltsicht des Kindes und der Primitiven auf - wie er sie unter anderem in den Bildern von Henri Rousseau und Paul Klee vermittelt fand -, andererseits griff er auf Formelemente des Jugendstils und des Sezessionismus zurück, die ihn besonders in den Werken von Gustav Klimt und Egon Schiele fasziniert hatten. Als eine Kombination von »Kinder- und Jugendstil« hat denn auch einmal ein Kritiker (Gottfried Sello) die Anfänge Hundertwassers treffend charakterisiert. Beiden Quellen seiner Kunst ist die Flächigkeit des Bildplans und der Verzicht auf die gewohnte Perspektive gemeinsam, zum Sezessionsstil gehört noch die feine Strukturierung der flächenhaften Formen, die kostbare, prunkende Farbe und die Kurvilinearität, die schwingende sensitive Linie, die Bewegung und Leben suggeriert.
Hundertwasser hat alle der Tradition entnommenen Elemente seiner Malerei von Anfang an einem eigenen poetischen Kosmos anverwandelt und eingefügt. Diese poetische - oder psychische - Dimension des Bildes ist ihm die wichtigste: die Chance, in seinem Bild die Welt bewohnbar zu finden, in der eigenen Malerei »leben« zu können. So erscheinen in den Bildern Hundertwassers nicht nur die einzelnen Formen »beseelt« - auch dann, wenn Chiffren sich der gegenständlichen Deutbarkeit entziehen -, so wird vor allem die Spirale, die seit 1953 das herrschende formale Motiv seiner Malerei und so etwas wie ihr Kennzeichen geworden ist, von einer unregelmäßig wachsenden und oft auswuchernden Linie gebildet, deren Bewegung sich in zwei Richtungen, nach innen und nach außen, lesen läßt, die sich Welt aneignet und einverleibt und sich dabei doch immer nur selbst umspielt und beschützt.
Ein wesentlicher Teil der Wirkung von Hundertwassers Malerei geht von der Farbe aus. Hundertwasser setzt die Farbe instinktiv ein, ohne nach irgendwelchen, auch selbst festgelegten Regeln etwa bestimmte Farben bestimmten Zeichen zuzuordnen.
Er bevorzugt intensive, leuchtende Farben und liebt es, Komplementärfarben unmittelbar nebeneinander zu setzen - etwa zur Pointierung der Doppelbewegung der Spirale. Daneben verwendet er gerne Gold und Silber, die er als dünne Folien ins Bild einklebt.
Zwei große Motivkreise bestimmen den Inhalt von Hundertwassers Malerei: Der eine umfaßt eine Formenwelt, die Analogien zu pflanzlichem Wachstum und einer animistischen Natur repräsentiert, der andere umkreist immer wieder architekturale Chiffren, Häuser, Fenster, Giebel, Zäune, Tore. Zur Eigenart von Hundertwassers Malerei gehört es, daß sich beide Motivkreise unlöslich miteinander verbinden: Vegetative Formen wirken statisch, verfestigen sich zur Architektur, um zu dauern, während alles Gebaute organisch gewachsen erscheint, von der Natur selbst hervorgebracht. Die Häuser scheinen oft in Bergen oder Hügeln zu liegen, Zäune können wie Gras aus dem Boden sprießen, der Zwiebelturm veranschaulicht augenfällig den innigen Zusammenhang beider Bereiche.
Auch die Technik seiner Malerei ist persönlich bestimmt. Hundertwasser verwendet am liebsten selbst geriebene oder bereitete Farben, die er unvermischt aufträgt . Ebenso präpariert er die Malgründe gern selbst, für Grundierung, Farbbereitung und Firnis hat er verschiedene eigene Rezepte entwickelt, die alle eine lange Lebensdauer seiner Bilder garantieren sollen. In vielen seiner Bilder hat er Ölfarben, Tempera und Aquarelltechnik nebeneinander verwendet, um dadurch den Kontrasteffekt matter und glänzender Bildpartien zu erreichen.
Hundertwassers Malerei hat vielfache Anerkennung gefunden - Bilder von ihm hängen in bedeutenden öffentlichen und privaten Sammlungen Europas, Amerikas und Japans -, aber sie hat keinen nachhaltigen Einfluß auf die Künstler seiner oder der nachrückenden Generation ausgeübt. Hundertwasser ist der Außenseiter geblieben, der er immer war. Er wird in die Kunstgeschichte wohl als einer jener Einzelgänger eingehen, wie es sie in allen Epochen neben den herrschenden Strömungen gegeben hat und wie sie sich erst aus der Distanz in das Bild eines Zeitalters kontrapunktisch einfügen. Die Position seiner Malerei ist heute singulär und ohne Parallele. Das macht ihren unvergleichlichen Rang aus, das bestimmt aber auch die engen Grenzen ihrer Wirkung.
Auszug aus: Wieland Schmied, Hundertwasser und seine Malerei, in:
Hundertwasser KunstHausWien, Köln 1999